Zum Verweis auf freie Reparaturfachwerkstatt

AG Bremen, Urteil vom 17.03.2011 – 9 C 153/10

Dass die von der Haftpflichtversicherung des Schädigers empfohlene Fachwerkstatt dem Anspruchsgegner des Versicherers Sonderkonditionen gewährt, ist bei vergleichbarer qualitativer Leistung unerheblich, wenn der von der KfZ-Werkstatt im Einzelfall angebotene Stundenlohn auch für solche Kunden gilt, die nicht Anspruchsgegner des Versicherers sind und unter dem Arbeitsstundenpreis einer markengebundenen Fachwerkstatt liegt; insbesondere ist es nicht entscheidend, dass die empfohlene Fachwerkstatt die kostenlose Abholung des Unfallfahrzeugs dem Geschädigten als Sonderkondition gewährt. Die Entscheidung des BGH, Urteil vom 20. Oktober 2009, VI ZR 53/09, NJW 2010, 606 ist restriktiv anzuwenden.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 316,18 € zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.07.2010 zu zahlen; im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger macht restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall geltend.

Der Kläger befuhr am 31.10.2009 mit seinem PKW der Marke VW-Passat, amtliches Kennzeichen HB-MB 110, Erstzulassung am 19.09.2001, den rechten Fahrstreifen der Straße an der Grenzpappel in Bremen. Beim Wechseln von der linken auf die rechte Fahrspur übersah der Fahrer des bei der Beklagten versicherten PKWs mit dem amtlichen Kennzeichen HB-UM 155 das Fahrzeug des Klägers, so dass es zur Kollision kam. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Kläger den Unfall nicht (mit)verursacht hat.

Der in 28355 Bremen wohnhafte Kläger rechnete den Schaden an seinem Fahrzeug auf Gutachtenbasis mit 3.533,37 € (ohne MWSt) ab; die Kosten des Gutachtens I vom 02.11.2009 betrugen 566,07 €. Als Schadenspauschale machte der Kläger 25,00 € geltend.

Mit Anwaltsschreiben vom 03.11.2009 wurde die Beklagte unter Fristsetzung zum 17.11.2009 zur Zahlung von 4.124,44 € aufgefordert. Am 11.12.2009 zahlte die Beklagte an den Kläger 3.417,26 € und verwies ihn hinsichtlich der Reparatur u.a. an die Firma G… in 28279 Bremen (carexpert-Gutachtenprüfbericht vom 10.12.2009).

Der Kläger ist der Ansicht, dass die Beklagte Erstattung des gutachterlich ermittelten Reparaturaufwands schulde; er sei berechtigt, auf Basis der fiktiven Kosten bei Reparatur durch eine markengebundene Fachwerkstatt abzurechen.

Der Kläger beantragt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 707,18 € zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 446,13 € zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, dass die am Fahrzeug des Klägers durch den Unfall verursachten Schäden durch die Firma G… ohne Qualitätsunterschied für lediglich 2.826,19 € vollständig und fachgerecht behoben werden könnten. Die Inanspruchnahme der Firma G sei dem Beklagten zuzumuten und unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht geboten.

Die Firma G… sei dem Kläger mühelos zugänglich; bei Beauftragung wären keinerlei Transportkosten entstanden. Die Firma sei eine Meisterfirma und arbeite mit Originalersatzteilen und gleichwertig zu einer VW-Markenfachwerkstatt; es handele sich um eine Eurogarant-, EuropAssistence- und Motorcare Fachwerkstatt, die mehrjährige Garantieleistung gebe.

Die Klage ist am 14.07.2010 zugestellt worden. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen G…; auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls wird Bezug genommen (Bl. 77 ff. d.A.).

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist überwiegend unbegründet.

1. Der Kläger hat gemäß den §§ 7, 18 StVG, 823, 249 BGB, 115 VVG keinen weiteren Anspruch auf Schadensersatz. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur hinreichenden Überzeugung des Gerichts fest, dass das Klägerfahrzeugs in der Firma G fachgerecht und entsprechend dem Standard einer markengebundenen Werkstatt zu reparieren gewesen wäre; die kostengünstigere Reparatur in der Firma G… wäre auch zumutbar gewesen.

1.1 Der Geschädigte darf im Rahmen einer fiktiven Abrechnung eines Unfallschadens zwar grundsätzlich auf die Kosten einer markengebundenen Fachwerkstatt abstellen; bei Abrechnung auf Gutachtenbasis muss er sich aufgrund seiner Schadensminderungspflicht gemäß § 254 II BGB aber gegebenenfalls auf eine ohne weiteres und mühelos zugängliche, günstigere und gleichwertige Reparaturmöglichkeit verweisen lassen (BGH, NJW 2003, 2086). Die Zumutbarkeit für den Geschädigten, sich auf eine kostengünstigere Reparatur in einer nicht markengebundenen Fachwerkstatt verweisen zu lassen, setzt eine technische Gleichwertigkeit der Reparatur voraus. Will der Schädiger mithin den Geschädigten unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen „freien Fachwerkstatt“ verweisen, muss der Schädiger darlegen und ggf. beweisen, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht. Dabei sind dem Vergleich die (markt-)üblichen Preise der Werkstätten zugrunde zu legen. Das bedeutet insbesondere, dass sich der Geschädigte im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht nicht auf Sonderkonditionen von Vertragswerkstätten des Haftpflichtversicherers des Schädigers verweisen lassen muss. Steht unter Berücksichtigung dieser Grundsätze die Gleichwertigkeit der Reparatur zu einem günstigeren Preis fest, kann es für den Geschädigten gleichwohl unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht unzumutbar sein, eine Reparaturmöglichkeit in dieser Werkstatt in Anspruch zu nehmen. Dies gilt vor allem bei Fahrzeugen bis zum Alter von drei Jahren. Bei Kraftfahrzeugen, die älter sind als drei Jahre, kann es für den Geschädigten ebenfalls unzumutbar sein, sich im Rahmen der Schadensabrechnung auf eine alternative Reparaturmöglichkeit außerhalb einer markengebundenen Fachwerkstatt verweisen zu lassen. Dies kann etwa auch dann der Fall sein, wenn der Geschädigte konkret darlegt, dass er sein Kraftfahrzeug bisher stets in der markengebundenen Fachwerkstatt hat warten und reparieren lassen (BGH, NJW 2010, 606; a.A. hinsichtlich des Aspektes der Sonderkonditionen: AG Hagen, Urteil vom 07.10.2010, 10 C 133/10-JURIS- mit beachtlichen Argumenten).

1.2 Der Zeuge G… bekundete, dass die Firma G… alles reparieren könne, was VW-Werkstätten reparierten. Ihm sei kein Fall bekannt, in dem er Kunden an eine Markenwerkstätte habe verweisen müssen. Auch in der Firma G… hätte eine farbechte Lackierung des Klägerfahrzeugs durchgeführt werden können. Die Firma sei ein Dekra-zertifizierter Fach- und Meisterbetrieb mit 25 Mitarbeitern und eigener Lackiererei. Für die Schadenskalkulation werde das System Audatex verwendet. Das System errechne anhand der eingegebenen Fahrgestellnummer des jeweiligen PKWs und Angabe der konkreten Beschädigung die Wiederherstellungskosten unter Zugrundelegung der Verwendung von Originalersatzteilen. Auch bei tatsächlichen Reparaturen würden nur Originalteile verwendet. Auf die Arbeiten werde eine Garantie von mindestens 2 bis zu 6 Jahren gegeben. Mit den Versicherungen bestünden Verträge, weshalb Sonderkonditionen gelten würden; jeder Kunde, der gleichzeitig Kunde der Beklagten sei, bekomme die von carexpert zugrunde gelegten Stundensatztarife. Ein Werkstattkunde, der bei keiner Vertragspartnerversicherung Kunde sei, bezahle für Karosseriearbeiten einen höheren Arbeitsstundensatz von 80,00 € und für Lackarbeiten einen Stundensatz von 85,00 €. In einem Umkreis von 50 km werde das Fahrzeug des Kunden kostenlos transportiert. Diese Kondition würde für Kunden gelten, die Kunden der Vertragspartnerversicherungen sind; andere Kunden bekämen diese Leistung grundsätzlich nicht. Die von carexpert berechneten Stundensätze von 79,50 € bzw. 85,50 € seien die Sätze, die für Kunden gelten, die nicht Kunde einer Versicherung sind, mir der zusammengearbeitet wird.

1.3 Das Gericht erachtet die ausführliche und in sich schlüssig nachvollziehbare Aussage des Zeugen für uneingeschränkt glaubhaft. Das Gericht bewertet daher die in der Firma G… angebotenen Reparaturleistungen als gleichwertig gegenüber entsprechenden Leistungen einer markengebundenen Fachwerkstatt.

1.3.1 Dem Beweisantrag des Klägers auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der „Gleichwertigkeit“ war nicht nachzugehen. Die allgemeine Frage der Gleichwertigkeit ist letztendlich dem Tatsachenbeweis nicht zugänglich, da primär rechtlicher, bzw. wertungsbedürftiger Natur. Zwischen den Parteien war keine konkrete Tatsache – wie beispielsweise die Frage, ob eine bestimmte Art der Reparatur/des Ersatzteilaustauschs einer anderen Art der Reparatur/des Ersatzteilaustauschs wie sie durch markengebundene Fachwerkstätten durchgeführt wird, in technisch-qualitativer Hinsicht vergleichbar ist – streitig.

In der Firma G… gelten für Auftraggeber, die zugleich Kunden der Beklagten sind, Sonderkonditionen. Dem auf diese Beweisfrage gerichteten Beweisantrag des Klägers auf Einholung eines Sachverständigengutachtens war insofern nicht mehr nachzugehen (vgl. Thomas/Putzo, 29. A., § 284, Rn. 6).

1.3.2 Der Zeuge G… räumte ein, dass die Firma G… hinsichtlich der Stundenverrechnungssätze Sondervereinbarungen mit der Beklagten – und anderen Versicherern – getroffen habe. Dass die von den Versicherern empfohlenen KfZ-Betriebe mit diesen in Geschäftsverbindung stehen, liegt auf der Hand; gerade aufgrund des durch die Empfehlungen bewirkten Massengeschäfts und der Spezialisierung der Betriebe auf Unfallschäden sind diese in der Lage, ihre Leistungen kostengünstiger als markengebundene Fachwerkstätten, die unter Umständen mit höheren Gewinnspannen kalkulieren bzw. eine kostenintensivere Vertriebsstruktur haben, anzubieten.

1.3.3 Unter Berücksichtigung der – fragwürdigen – BGH-Rechtsprechung ist entscheidend, welche Stundensätze vorliegend für einen Kunde galten, dessen KfZ bei einer Versicherung versichert war, zu der die Firma G… keine Geschäftsbeziehung unterhielt. Dies sind nach Aussage des Zeugen die von der Beklagten außergerichtlich herangezogenen 79,50 € bzw. 85,50 € pro Stunde, also der normale Tarif, der keine Sonderkonditionen beinhaltet. Zwar meinte der Zeuge zunächst, dass die in den carexpert-Vergleichsrechnungen herangezogenen Stundensätze die (vergünstigten) Sonderkonditionen der Firma G… wiedergäben; auf Vorhalt der Abrechnung äußerte der Zeuge jedoch dezidiert, dass die in der Abrechnung vom 10.12.2009 genannten Stundenbeträge den (erhöhten) Normaltarif der Firma G darstellten. Im Rahmen dieser Erläuterung zeigte der Zeuge keinerlei Nervosität. Die Aussage, dass der Zeuge nicht wisse, warum carexpert im vorliegenden Fall ausnahmsweise auf den Normaltarif abgestellt habe, war glaubhaft, zumal der Zeuge bereits zuvor erklärt hatte, dass der Normaltarif bei 80 €, bzw. 85 € liege; die Sonderkonditionen haben sich hinsichtlich der Stundenverrechnungssätze vorliegend also nicht ausgewirkt und sind daher unbeachtlich (vgl. hierzu: LG Mannheim, NJW-RR 2011, 180).

1.3.4 Unbeachtlich ist auch, dass der kostenlose Transport des Kraftfahrzeugs eine von der Firma G gewährte Sonderkondition darstellt. Einen kostenlosen Transport des verunfallten Kundenfahrzeugs bieten Werkstätten üblicherweise nicht an. Das vom BGH aufgestellte Regel-Ausnahmeverhältnis würde daher umgekehrt, wenn die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer freien Fachwerkstatt aufgrund des Kriteriums der Sonderkondition (kostenloser Transport) regelmäßig verneint würde. Außerdem ist das ohne weitere Erläuterung postulierte Kriterium der Sonderkondition sachlich kaum zu begründen und daher – wenn überhaupt – restriktiv anzuwenden: Unter dem Aspekt der Schadensminderungspflicht erscheint es irrelevant, aus welchen Gründen eine Werkstatt günstiger zu kalkulieren vermag, als eine andere. Im Übrigen gelten bei einem Massengeschäft in der freien Wirtschaft oftmals Sonderkonditionen. Dass die Einräumung von günstigeren Tarifen für Werkstattkunden, die zugleich Kunde des Haftpflichtversicherers sind, nach der BGH-Rechtsprechung eine Art Makel begründen soll, ist nicht nachvollziehbar.

1.3.5 Ob im Fall einer tatsächlich durchgeführten Reparatur durch eine markengebundene Fachwerkstätte das vom BGH postulierte Kriterium der Sonderkondition relevant würde, kann dahinstehen. Bei wertender Betrachtung ist nach Ansicht des Gerichts zu berücksichtigen, dass ein Geschädigter, der fiktiv abrechnet, sich regelmäßig dafür entscheidet, sein Fahrzeug nicht in einer markengebundenen Werkstatt reparieren zu lassen; andernfalls hätte er im Zeitpunkt der Entscheidung die Reparatur längst durchführen lassen. Der Geschädigte gibt daher regelmäßig zu erkennen, dass er auf eine (kostenintensive) Reparatur keinen gesteigerten Wert legt, was im Rahmen der Beurteilung der Zumutbarkeit zu berücksichtigen ist. Es erscheint legitim, wenn die Versicherer durch den Aufbau eines durch Sonderkonditionen verbundenen Werkstättennetzes versuchen, der sich durch Abrechnung auf Gutachtenbasis ergebenen Möglichkeit der Bereicherung der Geschädigten entgegenzuwirken. Letztendlich handeln die Versicherer im Hinblick auf die Stabilität der Beitragssätze im Interesse der Gemeinschaft der Versicherten.

1.3.6 Der Wagen des Klägers war zum Unfallzeitpunkt älter als 3 Jahre; zu einer regelmäßigen Wartung durch eine VW-Markenwerkstatt hat der Kläger nichts vorgetragen. Die Firma G… hat ihren Sitz innerhalb eines 25-Kilometerradius zum Wohnsitz des Klägers (Luftlinie ca. 15 km) und hätte von diesem – nach der erfolgten Informationsmitteilung durch die Beklagte (vgl. hierzu: LG Krefeld, NJW 2010, 3040) – mühelos aufgesucht werden können.

2. Die Beklagte schuldet im Hinblick auf die außergerichtliche Tätigkeit des Klägervertreters die Erstattung einer auf einen Streitwert von 3.417,26 € basierenden 1,3 Geschäftsgebühr nebst Auslagenpauschale in Höhe von 20,00 € zzgl. der gesetzlichen Mehrwertsteuer von 19 %, also nach Anlage 2 zu § 13 I RVG insgesamt 316,18 €. Die außergerichtlichen Gutachterkosten und die Pauschale stellen keine Nebenforderung im Sinne des § 4 ZPO dar und sind im Rahmen der Auslagenberechnung streitwerterhöhend zu berücksichtigen (BGH, NJW 2007, 1752).

3. Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 92 II Nr. 1, 708 Nr. 11 Alt. 2, 711 ZPO.

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